R2G fährt Zukunft der Berliner Jugend an die Wand

leonard

Immer wieder plagen uns Schlagzeilen in Berliner Zeitungen, dass in sämtlichen Bereichen Fachkräfte fehlen. Das Problem ist bekannt und wird seit mehreren Jahren konsequent ignoriert. Oft wird behauptet, dass die berufliche Ausbildung keinen Stellenwert mehr hat – keinen Respekt gezollt bekommt, während das verwässerte Studium zum Allheilmittel für den sozialen Aufstieg wird. Gleichzeitig soll die immens steigende Studienzahl Beweis sein, was für einen überragend guten Job Rot-Rot-Grün und vor allem Frau Scheeres in den letzten sieben Jahren geleistet hat. Das Gegenteil ist der Fall.


Ich kann mich noch an meine Zeit in der Oberschule erinnern: während ich mich seinerzeit gut auf dem Gymnasium eingelebt hatte, fing meine Schwester ihre schulische Laufbahn erst an. Begleitet wurde der Start mit einem mehrmals gescheitertem Flex-System, bei dem die erste und zweite Klasse einer Grundschule in einem Lehrraum Unterricht haben. Ziemlich praktisch, wenn Lehrkräfte eingespart werden sollen. Die eingeübten Grundschullehrer schlugen Alarm und waren von diesem Testprojekt überfordert, weil bewährte Unterrichtskonzepte umgekrempelt werden mussten. Leider bestätigten sich die massiven Zweifel. Zwei Drittel der Schüler aus der damaligen 2. Klasse waren sitzengeblieben, oder auf neudeutsch: wurden nicht versetzt. Statt einem gewünschten Erfolg, dass sich „jung & alt“ einander helfen, wandelte sich das Flex-System in einen Misserfolg, bei dem die Zweitklässler ein wichtiges Jahr in ihrer Schullaufbahn verschenkt haben. Wenn Recruiter und Personalleiter später fragen, wieso man bereits in der Grundschule ein Schuljahr wiederholen musste, sitzt der Adressat für die berechtigte Frage aber nicht im Raum des Bewerbungsgesprächs, sondern im Senat für Bildung, Jugend & Familie.

Auch während meiner bald endenden Berufsausbildung zum Informatiker wurde deutlich, wie schlecht es um Berliner Schulen bestellt ist. Die Ausbildung fing damit an, dass meine Klasse binnen eines Schuljahres drei verschiedene Klassenlehrer hatte. Wenn bereits die freie Wirtschaft händeringend nach IT-Fachkräften sucht, dann sieht es im Berliner Schulwesen noch düsterer aus. Während der erste Lehrer nach 3 Wochen durch die Elternzeit ausfiel, gab es scheinbar für die danach folgenden zwei Quereinsteiger recht wenig Gründe, längerfristig am OSZ IMT in Britz zu unterrichten. Den ersten Winter der Ausbildung saßen wir mit Jacken im Kursraum, um Klausuren schreiben zu können, weil beide Heizkessel der Schule ausgefallen waren. Einer war ohnehin defekt, der Andere gab in jenem Winter seinen Geist auf. Schwergewichtige Programme für das Fach „Softwareentwicklung“ benötigten Minuten, bis die Schüler mit ihren Aufgaben beginnen konnten. Die Rechner waren oft mehr als 10 Jahre alt, während Maus und Tastatur bereits einen dunkleren Beigeton als der Sandstein des Bundestages haben. Zugang zum schulinternen WLAN gab es nur auf Nachfrage bei den zwei Technikern der Schule, die mehr als 1100 Rechner im Gebäude betreuen müssen. Die Schule hat nur eine Lehrerauslastung von circa 96%, sodass einige Lehrer mehrere Kurse gleichzeitig leiten müssen – mit allen einhergehenden Strapazen für die Betroffenen.

Ich war in den ersten zwei Jahren in der Gesamtschülervertretung aktiv und man konnte deutlich sehen, dass die Schulleitung bemüht war, das Beste aus den gegebenen Mitteln herauszuholen. Der Senat war an einer Finanzierung von neuer Technik nicht interessiert, sodass sich die Schule zum wiederholten Male um Gelder eines Fonds der EU bewarb. Die Bewerbung war erfolgreich, sodass mehrere „Computer-Labore“ mit neuen Rechnern ausgestattet wurden. „Labor“ passt insofern als Bezeichnung sehr gut, als dass vermutlich noch Grippeviren aus vergangenen Jahrzehnten auf den Tastaturen leben.

Ich bin jedenfalls der Europäischen Union deshalb sehr dankbar, dass zumindest so die Fachkräfte von Morgen gefördert werden und blicke deshalb mit Spannung und Hoffnung auf die kommende Europawahl.

Leonard Scharf